Kapitel 9: Albertine Agnes von Oranien, Gräfin von Nassau, und Wilhelm Friedrich Graf von Nassau-Diez
Die zupackende Regentin
Albertine (1634–1696) und ihre Schwestern hatten bei der Auswahl ihrer Ehepartner wenig zu sagen. Ihre ehrsüchtige Mutter Amalie erkor Schwiegersöhne aus, die ihr in Hinsicht auf Status, Prestige, Glauben (natürlich protestantisch) und Vermögen interessant erschienen. Graf Wilhelm Friedrich von Nassau-Diez (1613-1664) war zwar ein Großcousin, sein Rang war aber dem der ruhmreichen Oranier nicht ebenbürtig.
Die Hochzeit, ausgerichtet und bezahlt von Albertines Schwager Wilhelm Friedrich von Hohenzollern, dem Gemahl ihrer Schwester Luise, fand in Kleve statt. Eine geschlagene Woche dauerten die ebenso ergötzlichen wie kostspieligen Feierlichkeiten mit Komödianten, Akrobaten, Sängern, Musikanten und, als Höhepunkt, einem spektakulären Turnier. Die Hochzeitsnacht verlief derweil weniger zufriedenstellend. Der Bräutigam notierte in seinem Tagebuch, dass er zu seiner Angetrauten »ins Bette gestiegen«, sie aber vor ihm »entschlüpft« sei.
Da Wilhelm Friedrich Statthalter von Friesland, Groningen und Drente war, wohnte das Paar überwiegend in Leeuwarden und Groningen, gelegentlich aber auch in Den Haag. 1664 starb Wilhelm Friedrich unversehens, als er sich beim Reinigen seiner Pistole versehentlich in den Kiefer schoss. Für seine Witwe Albertine begann damit ein neues Leben. Sie war nun Vormund ihres minderjährigen Sohnes, und zwar, wie im Ehevertrag vorgesehen, »mit Macht und Autorität und Vorteilen der Art, wie solche Tutelen für gewöhnlich in Deutschland unter fürstlichen Standespersonen üblich waren«. Zugleich war sie damit die erste Oranierin, die in der Republik der Vereinigten Niederlande das Statthalteramt ausübte. Im Jahr 1672, das als das »Katastrophenjahr« in die niederländische Geschichte eingegangen ist, weil die Republik gleichzeitig von England, Frankreich und den Bistümern Köln und Münster angegriffen wurde, stellte sie ihre Entschlusskraft unter Beweis. Sie verpfändete und verkaufte sogar ihre Juwelen, um den Kampf gegen den Bischof von Münster, Bernhard von Galen, auch »Bomben-Bernd« genannt, zu finanzieren.
Albertine wirkte auch in der vom Krieg gezeichneten und verarmten Grafschaft Dietz, in der sie bis 1677 das Amt der Regentin für ihren Sohn ausübte. Sie trieb den Wiederaufbau der Wirtschaft voran und bekämpfte die für ihr Empfinden allzu rauhen Sitten der Bevölkerung. Genau wie ihre Mutter war Albertine verrückt nach Prunk und Pracht; so ließ sie gleich zwei elegante Residenzen bauen, Oranjewoud (Oranienwald) in Friesland und Oranienstein in Dietz. Für Tapeten, Gemälde, Silber, Porzellan, Prunkbetten, Juwelen und andere Luxusgüter gab Ihre Hoheit sehr viel Geld aus – zu viel, wie man munkelte. Sie häufte denn auch einen großen Schuldenberg an. Aus einem Inventar geht hervor, dass sie 1681 mehr als hundert Ketten, Armbänder, Ringe, Spangen, Knöpfe, Anhänger und Medaillen, besetzt mit Perlen, Diamanten, Smaragden, Saphiren und Rubinen, besaß.
Die Eheschließung Albertines mit Wilhelm Friedrich schuf eine Verbindung zwischen dem Geschlecht derer von Oranien-Nassau (Nachfahren Wilhelms von Oranien) und der friesischen Nassau-Linie (Nachfahren von Jan von Nassau, dem Bruder Wilhelms von Oranien). 1696 starb Albertine, 1702 ihr Neffe Wilhelm III., der letzte männliche Oranierspross. Das so begehrte Oraniererbe ging nach mehr als dreißig Jahren des Streits zum Großteil an die friesischen Nassauer. Das friesisch-deutsche Oranierpaar wurde zu den Stammeltern des heutigen niederländischen Königshauses.
Reinildis van Ditzhuyzen, Juni 2016
Literatur
- Ditzhuyzen
- J.N. Fernhout: Eindelijk weer samen. Inventaris van de archieven van stadhouder Willem II en Amalia van Solms en enige verwanten (Endlich wieder zusammen. Inventar der Archive von Statthalter Wilhelm II. und Amalie von Solms sowie einigen Verwandten (darunter Wilhelm Friedrich von Nassau-Dietz)), Amsterdam 2012
- M.H. Gans: Juwelen en mensen (Juwelen und Menschen), Amsterdam 1961
- Simon Groenveld, Friedhelm Jürgensmeier: Nassau-Diez und die Niederlande. Dynastie und Oranierstadt Diez in der Neuzeit, Wiesbaden 2012.
- Peter Karstkarel, Hugo Kingmans: Oranje Nassau en Friesland (Oranien-Nassau und Friesland), Leeuwarden 1994
- Luuc Kooijmans: Liefde in opdracht. Het hofleven van Willem Frederik van Nassau (Liebe im Auftrag. Das höfische Leben von Wilhelm Friedrich von Nassau), Amsterdam 2000
- Geert H. Janssen: »Leven als een graaf. Het hof van Willem Frederik van Nassau als particuliere onderneming« (Leben wie ein Graf. Der Hof Wilhelm Friedrichs von Nassau als Privatunternehmen), in: De Zeventiende Eeuw 20 (2004), S. 15–26
- Geert H. Janssen: »Albertine Agnes van Oranje«, in: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland (Digitales Frauenlexikon der Niederlande)
- Horst Lademacher (Hrsg.): Onder den Oranjeboom. Niederländische Kunst und Kultur im 17. und 18. Jahnrhundert an deutschen Fürstenhöfen, 2 Bände, München 1999
- R.L.P. Mulder-Radetzky, B.H. de Vries: Geschiedenis van Oranjewoud (Geschichte von Oranjewoud), Alphen aan den Rijn 2010
- A.P. van Nienes und M. Bruggeman: Archieven van de Friese stadhouders. Inventarissen van de archieven van de Friese stadhouders van Willem Lodewijk tot en met Willem V, 1584–1795 (Archive der friesischen Statthalter. Inventare der Archive der friesischen Statthalter von Wilhelm Ludwig bis Wilhelm V., 1584–1795), Hilversum/Den Haag/Leeuwarden 2002
- Wolfgang Savelsberg: »Henriette Catharina und Albertine Agnes. Eine Schwesternkoalition zur Bewahrung Oranischer Interessen«, in: Simon Groenveld, Friedhelm Jürgensmeier: Nassau-Diez und die Niederlande, Wiesbaden 2012
- F. Storto: Oranienstein. Barockschloss an der Lahn, Koblenz 1994
- J. Visser (Hrsg.): Gloria Parendi. Dagboeken van Willem Frederik, stadhouder van Friesland, Groningen en Drenthe, 1643–1649, 1651–1654 (Gloria Parendi. Tagebücher von Wilhelm Friedrich, Statthalter von Friesland, Groningen und Drente, 1643–1649, 1651–1654), Den Haag 1995

Vormund und Regentin Albertine Agnes mit ihren drei Kindern, v.l.n.r.: Amalie mit einem Orangenblütenzweig, Heinrich Casimir II. und die zum Zeitpunkt der Entstehung des Gemäldes bereits verstorbene Sophie Wilhelmine, »das selige Prinzesschen«. Interessant auch das Kooikerhündchen als Symbol der Treue (Abraham van den Tempel, 1668)

Treffen im blau-goldenen Saal von Schloss Oranienstein, das sich heute im Besitz der Bundeswehr befindet. Im Rahmen einer Führung können von den insgesamt 318 Räumen dieser und einige andere Säle, die Schlosskapelle und das Museum Nassau-Oranien, das die Geschichte des niederländischen Königshauses dokumentiert, besichtigt werden.