Kapitel 29: Wilhelmina Helena Pauline Maria Königin der Niederlande und Hendrik (Heinrich) Wladimir Albrecht Ernst Herzog von Mecklenburg

Die Mutter des Vaterlandes und der gutmütige Landadlige

1898 besteigt die achtzehnjährige Wilhelmina (1880–1962) den niederländischen Königsthron. Damals regieren in Russland noch der Zar, in Österreich und Deutschland ein Kaiser, im Osmanischen Reich der Sultan und in Großbritannien Königin Victoria. Als Wilhelmina fünfzig Jahre später abdankt, hat die Menschheit zwei schreckliche Weltkriege erlebt, wütet der Kalte Krieg in aller Schärfe und haben der Zar (1917), die beiden Kaiser (1918) und der Sultan (1922) längst das Feld räumen müssen. Gewiss, auch in den Niederlanden liegt 1918 eine Revolution in der Luft. So mancher Politiker fürchtet, die Monarchie lasse sich nicht halten. Verängstigte Hofdamen fragen sich gar, ob sie jetzt fort müssen. Doch das Blatt wendet sich: die Umwälzung bleibt aus, stattdessen kommt es zu einer großen Pro-Oranier-Kundgebung.

Die junge Königin weiß genau, was sie will. Sie versteht ihr Amt als einen erhabenen Auftrag, und sie übt ihn mit außergewöhnlichem Eifer aus. Gern verweist sie auf das »enge Band, das zwischen mir und meinem Volk besteht und die althergebrachte Verbundenheit zwischen den Niederlanden und den Oraniern besiegelt … Die Oranier können niemals, wirklich niemals genug für die Niederlande tun«.

Aber das kann sie nicht allein. Händeringend wird ein passender Ehegatte gesucht, um die Dynastie vor dem Aussterben zu bewahren. Nach eingehender Kandidatenschau fällt die Wahl auf den Mecklenburger Herzog Heinrich. Über seine Stellung und sein Einkommen als Prinzgemahl wird hart verhandelt – mit zum Teil enttäuschendem Ausgang für den Mecklenburger. So wird Heinrich (nunmehr Hendrik) lediglich der Titel Prinz der Niederlande zugestanden, obwohl er sich lieber König oder Prinz von Oranien genannt hätte, und die Dynastie behält den Namen, den sie schon 300 Jahre führt, nämlich Oranien-Nassau und nicht Oranien-Mecklenburg. Anders als der Mann Königin Viktorias erhält Heinrich als Prinzgemahl auch kein Jahrgeld. Somit stehen ihm bis auf weiteres nur die 100 000 Gulden pro Jahr zur Verfügung, die ihm Wilhelmina aus ihrer eigenen Schatulle zahlt, ergänzt um die Apanage seines Neffen Friedrich Franz IV., Großherzog von Mecklenburg. Doch 1918 verzichtet dieser wie viele andere Fürsten auf den Thron, wodurch Heinrich finanziell vollständig von seiner Frau abhängig wird. Es kommt zu großen Problemen, denn der Prinz, der es gewohnt ist, sich bei Gott und der Welt Geld zu leihen, hat enorme Schulden. Hinzu kommen diverse höchst peinliche Frauengeschichten. Wilhelmina beauftragt einen Vertrauensmann damit, diese Angelegenheiten diskret in Ordnung zu bringen.

Von Anfang an ist klar, dass Heinrich und Wilhelmina nicht zueinander passen: er ein gutmütiger, etwas kindhafter Landadliger, der gerne eine gute Zigarre raucht, im Wirtshaus ein Gläschen trinkt und hier und da ein Schwätzchen hält, sie die distanzierte, strenge und pflichtbewusste Monarchin. Wilhelmina hält ihn von Staatsangelegenheiten fern – und so muss Heinrich sich mehr oder weniger selbst eine Beschäftigung suchen. Letztlich verbindet die beiden nur das innig geliebte Wunschkind, Thronfolgerin Juliana (siehe nächstes Kapitel).

Heinrich erliegt 1934 mit gerade mal 58 Jahren unerwartet einem Herzanfall. Wilhelmina hat ihren Zenit da noch vor sich. Während der deutschen Besetzung der Niederlande von 1940 bis 1945 entwickelt sie sich im Londoner Exil zu einer unbeugsamen Fürstin, die sich sicher ist, dass am Ende der Sieg steht. In ihren Radioansprachen ruft sie ihre Landsleute zu entschlossenem und würdigem Widerstand auf. So wird sie zu einem nationalen Symbol, zur Mutter des Vaterlandes.

Reinildis van Ditzhuyzen, Februar 2018

Literatur

  • Ditzhuyzen
  • Cees Fasseur: Wilhelmina. De jonge Koningin (Wilhelmina. Die junge Königin), Amsterdam 1998
  • Idem: Wilhelmina. Krijgshaftig in een vormeloze jas (Wilhelmina. Kämpferisch im saloppen Mantel), Amsterdam 2001
  • Hans Wolfram von Hentig: Titularkönig und Prinzgemahl. Studien zur Verfassungsgeschichte von Sonderformen des Königtums (Dissertation), Bonn 1962
  • A.F. Manning: »Koningin Wilhelmina« (Königin Wilhelmina), in: C.A. Tamse (Hrsg.), Vrouwen in het landsbestuur (Frauen in Staatsämtern), Den Haag 1982, S. 239–270
  • I. Schöffer: »Wilhelmina, koningin der Nederlanden (1880-1962)« (Wilhelmina, Königin der Niederlande (1880–1962), in: Biografisch Woordenboek van Nederland (Biographisches Wörterbuch der Niederlande), http://resources.huygens.knaw.nl/bwn1880-2000/lemmata/bwn2/wilhelmina
Het verloofde paar Hendrik en Wilhelmina
Abbildung: ©Koninklijke Bibliotheek Den Haag / Prentbriefkaart 1900, coll. Koninklijke Bibliotheek Den Haag

Das verlobte Paar Heinrich und Wilhelmina mit ihren Müttern: Königinmutter Emma (links) und Großherzogin Marie von Mecklenburg, geborene Prinzessin von Schwarzburg-Rudolstadt.

Schweriner Schloss
Abbildung: ©By Harald Hoyer (Based on File:Schwerin Castle Aerial View.jpg) [CC BY-SA 3.0], via Wikimedia Commons / https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/4/4b/Schwerin_Castle_Aerial_View_Island_Luftbild_Schweriner_Schloss_Insel_See.jpg

Das wunderschön gelegene Schweriner Schloss war viele Jahrhunderte die Residenz der Herzöge und Großherzöge von Mecklenburg. Seit 1990 ist es Sitz des Landtags von Mecklenburg-Vorpommern.