Kapitel 27: Sophie Prinzessin von Oranien-Nassau und Karl Alexander Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach
Ein Hof der Kunst, der Literatur und der Musik
Wer ist der beliebteste Deutsche bei Nichtdeutschen? Bei Umfragen landen diese fünf Namen regelmäßig unter den ersten zehn: Martin Luther, Johann Wolfgang von Goethe, Johann Sebastian Bach, Karl Marx und Johannes Gutenberg. Ist es Zufall, dass die drei Erstgenannten allesamt Bande mit Thüringen hatten – dort wohnten, arbeiteten oder von dort stammten? Thüringen, so König Willem-Alexander bei seinem Besuch des Freistaats im Februar 2017, »bewahrt die Erinnerungen an das Schönste, Beste und Erhabenste, was die Menschheit hervorgebracht hat«.
Großherzog Karl Alexander und Prinzessin Sophie
Des Königs eigene Vorfahren, Großherzog Karl Alexander (1818–1901) und Prinzessin Sophie (1824–1897), haben hierzu tatkräftig beigetragen, wie er mit eigenen Augen feststellen konnte. Zusammen mit Königin Máxima bewunderte er die berühmte Wartburg in Eisenach, wo Martin Luther 1521 das Neue Testament ins Deutsche übersetzte. Heutzutage zieht die Burg, die zum UNESCO-Welterbe zählt, Jahr für Jahr mehr als 350 000 Besucher an; damals, zu Zeiten Großherzog Karl Alexanders, war sie verfallen und in Vergessenheit geraten. Der Fürst bedauerte dies und sorgte für eine umfassende Restaurierung und Neugestaltung, wenn auch nach den damals populären romantischen Vorstellungen von einer idealen mittelalterlichen Burg. Das nötige Kleingeld kam vor allem von Karl Alexanders Frau, der niederländischen Prinzessin Sophie.
Die beiden, Cousin und Cousine, sind seit 1842 miteinander verheiratet, führen aber, wie so oft bei arrangierten Verbindungen, keine glückliche Ehe. Gleichwohl setzen sie sich beherzt für ihr kleines, in drei Gebiete zergliedertes Großherzogtum mit gerade einmal 340 000 Einwohnern ein. Die Kultur liegt ihnen besonders am Herzen. Karl Alexander, seit 1854 regierender Fürst, gründet in der Hauptstadt Weimar ein Museum, eine Musikschule, eine Bibliothek und eine Kunstschule; in seinem Schloss empfängt er Gelehrte, Musiker, Schriftsteller, Dichter und Künstler. Der eigenwillige Pianist und Komponist Franz Liszt, der auch bei Karl Alexanders Schwager (dem Bruder seiner Frau), König Wilhelm III. (vgl. Kapitel 25), Konzerte gibt, ist fast zwanzig Jahre lang, von 1842 bis 1861, Hofkapellmeister in Weimar. Seine Vorliebe gilt zeitgenössischer Musik von Komponisten wie Berlioz, Mendelssohn und Schumann. Von Richard Wagner, der damals viel Aufsehen erregt, dirigiert Liszt nicht weniger als 36 Werke, darunter die Oper Lohengrin. Auch begleitet er Sophie, die gerne singt, auf dem Klavier.
Goethe- und Schiller-Archiv
Auf kulturellem Gebiet steht die Großherzogin ihrem Gemahl in nichts nach. Als große Literaturliebhaberin übernimmt sie die Schirmherrschaft für die deutsche Shakespeare-Gesellschaft (1863), der sie große Summen für Übersetzungen zur Verfügung stellt. Ihre große Stunde schlägt gut zwanzig Jahre später. 1885 vermacht ihr Walther Goethe, der Enkel des großen Dichters, dessen literarischen Nachlass. Sie gibt eine historisch-kritische Ausgabe in Auftrag, die ihren Namen trägt: Sophien-Ausgabe. Sie gründet das Goethe-Archiv und hat Pläne für die Errichtung eines außergewöhnlichen Archivgebäudes. Ihrem unermüdlichen Einsatz und finanziellen Engagement ist es zu verdanken, dass 1896 das heute älteste Literaturarchiv Deutschlands mit einem Festdiner eröffnet werden kann (siehe Abbildung). Nur drei Jahre später wird es um den Nachlass von Friedrich Schiller erweitert. Seither trägt es den Namen Goethe- und Schiller-Archiv.
2017: König und Königin besuchen Thüringen
Natürlich besuchte König Willem-Alexander auf seiner Thüringen-Reise 2017 die Bibliothek und auch den berühmten Archivbau seiner Ahnin, deren Bestände seit 2001 zum UNESCO-Weltdokumentenerbe gehören. »Hier wird Geschichte greifbar«, sagte er, »man spürt den Geist Schillers und Goethes und all der anderen Größen, die der Kultur Europas ihren Stempel aufdrückten. Goethe hat vollkommen recht gehabt: In Bibliotheken fühle man sich wie in der Gegenwart eines großen Kapitals, das geräuschlos unberechenbare Zinsen spendet.«
Tischrede Seiner Majestät König Willem-Alexander beim Mittagessen, gegeben vom Ministerpräsidenten des Freistaats Thüringen, Bodo Ramelow, Weimar
Reinildis van Ditzhuyzen, Dezember 2017
Literatur
- René Jacques Baerlocher, Christa Rudnik (Hrsg.): »Weimars Pflichten auf der Bühne der Vergangenheit«. Der Briefwechsel zwischen Großherzog Carl Alexander und Walther Wolfgang von Goethe, Göttingen 2010
- La Mar (Hrsg.): Briefwechsel zwischen Franz Liszt und Carl Alexander, Großherzog von Sachsen, Leipzig 1909
- Thera Coppens: Sophie in Weimar. Een prinses van Oranje in Duitsland (Sophie in Weimar. Eine Oranier-Prinzessin in Deutschland), Amsterdam 2011
- Ditzhuyzen
- Ivy York Möller-Christensen und Ernst Möller-Christensen (Hrsg.): »Mein edler, theurer Grossherzog!« Briefwechsel zwischen Hans Christian Andersen und Großherzog Carl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, Göttingen 1997
- Hélène J. de Muij-Fleurke: Sophie van Oranje-Nassau, in: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland (Digitales Frauenlexikon der Niederlande) http://resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/Sophie

Karl Alexander von Sachsen-Weimar-Eisenach, Großherzog eines zerstückelten Landes und Restaurator der Wartburg.

König Willem-Alexander trägt sich ins Gästebuch der Wartburg ein (2017).

Porträt Sophies von Oranien-Nassau, Großherzogin von Sachsen-Weimar-Eisenach (1855), das 2017 aus Anlass des Besuchs König Willem-Alexanders in »ihrem« Goethe- und Schiller-Archiv ausgestellt wurde (Richard Lauchert, 1823–1869, Sammlung der Klassik-Stiftung Weimar, Depot)

Von Großherzogin Sophie selbst entworfene Menükarte zum Diner anlässlich der Eröffnung des Goethe-Archivs 1896; auf dem Dach des Gebäudes die niederländische und die großherzogliche Flagge. Bei seinem Besuch wurde dem Königspaar das auf drei Gänge reduzierte Menü von 1896 in der Bibliothek serviert (Sammlung der Klassik-Stiftung Weimar).