Kapitel 22: König Wilhelm I. und Wilhelmine Prinzessin von Preußen

Aus Exilanten wird ein Königspaar

Dieser Oranierprinz hat starke Bande zu Preußen: seine Mutter und seine Frau sind preußische Prinzessinnen, er heiratet 1791 in der Hauptstadt Berlin, wohnt während der für Europa zerstörerischen Napoleonischen Kriege zwischen 1795 und 1815 die meiste Zeit im preußischen Exil und stirbt nach einer nur zum Teil erfolgreichen Zeit im Königsamt als Graf von Nassau in Berlin.

Dabei lässt sich alles so gut an. Nach seiner Hochzeit mit Wilhelmine (1774–1837), genannt »Mimi«, wohnt Wilhelm (1772–1843) im Haager Palais Noordeinde. Dort stellt seine Frau, von Haus aus eine königliche Hoheit, erstaunt fest, dass man am Hof der Oranier mit Personen aus niederen Kreisen wie mit Ebenbürtigen umgeht! Das findet sie unerhört. In Berlin wäre so etwas unvorstellbar. Doch eigentlich hätte sie es sich denken können, schließlich wohnt sie nicht mehr in einem Königreich, sondern in einer Republik. Und deren Einwohnern liegen Gleichheit und Gerechtigkeit sehr am Herzen.

Aber mit dem republikanischen Leben ist es nach dem Einfall der Franzosen 1795 vorbei. Die Oranier verlassen Hals über Kopf ihr Land, das Statthalteramt wird abgeschafft, und in den Folgejahren streifen Wilhelm und Mimi wie Flüchtlinge umher. Mal kommen sie bei Mimis Familie in Berlin und Umgebung unter, mal suchen sie Zuflucht auf ihren Landgütern in Schlesien und Posen (heute Polen). Der geschäftstüchtige Prinz verwaltet seine Güter so erfolgreich, dass die Kasse kräftig klingelt.

Kein Statthalter, kein Geld

Das ist auch nötig, denn Wilhelm hat Geldsorgen, unter anderem durch den Bankrott seines Bankiers in Hamburg. Zum Glück lässt sich seine englische Verwandtschaft (Wilhelms Großmutter ist eine englische Prinzessin) nicht lumpen. Doch selbst diese großzügige Unterstützung reicht nicht aus, vor allem nicht nach dem Tod seines Vaters, Wilhelms V. Als Chef des Hauses Oranien muss er seiner Mutter und seiner Schwester Luise Apanagen zahlen. Auch müssen die Gehälter und Pensionen für sein Personal aufgebracht werden. Es bleibt ihm keine andere Wahl, er muss Teile seiner Besitztümer versilbern. Schmuck lässt sich immer zu Geld machen, und so verkauft der Prinz 1808 Diamanten mit einem Gesamtwert von über 32 000 Gulden. Ein Jahr später bringt ihm die Versteigerung des Weinkellers des von ihm geerbten Schlosses Oranienstein bei Diez ein erkleckliches Sümmchen ein. Seine Schwester Luise bietet ihm liebenswürdigerweise an, auf die Hälfte ihrer Apanage zu verzichten. 1811 aber wird die reiche Grafschaft Spiegelberg bei Hannover, seit 1632 in Familienbesitz, von Napoleons Bruder Jérôme kurzerhand konfisziert. Damit verliert Wilhelm erneut eine seiner festen Einnahmequellen.

Das Oranierpaar lebt denn auch so sparsam, wie es nur geht. Zum Glück ist Wilhelm alles andere als ein verschwenderischer Typ, auch als er nach den kargen Jahren König der Niederlande wird und, wie es die Verfassung von 1814 vorsieht, ein fixes Einkommen in Höhe von »fünfzehnmal hunderttausend Gulden« bezieht. Während seiner gesamten Regentschaft als König erledigt er seine Aufgaben mit großer Tatkraft, Ernsthaftigkeit, Selbstdisziplin, Leidenschaft und Hingabe. Geldverschwendung ist ihm fremd.

Seine Bescheidenheit und Sparsamkeit – er wird auch Bürgerkönig genannt, weil er nicht wie ein Fürst auf großem Fuß lebt – haben aber auch eine Kehrseite: das Hofleben macht nicht viel her. Schon bald spricht man im In- und Ausland vom »langweiligsten Hof Europas«. Diese wenig schmeichelhafte Umschreibung findet Mimi nach den mageren Jahren des Exils und dem Ehebruch ihres Gemahls (Wilhelm zeugt mit ihrer Hofdame vier Kinder) vermutlich nicht so schlimm. Sie kränkelt und zieht es vor, sich als Königin im Hintergrund zu halten. Dennoch ist sie in den Niederlanden sehr beliebt, und in der Oranierfamilie erfüllt sie bis zu ihrem Tod 1837 eine wichtige Bindungsfunktion.

Reinildis van Ditzhuyzen, Juli 2017

Literatur

  • Marc de Beyer: »Wilhelmina van Pruisen. Een portret door haar leermeester« (Wilhelmine von Preußen. Ein Porträt von ihrem Lehrmeister), in: Jaarboek Oranje-Nassau (Jahrbuch Oranien-Nassau) 2007, S. 55–71
  • Ditzhuyzen
  • J.A. van Hamel: »´s Erfprinsen toevluchtsoord. De latere koning Willem I als landheer op het Posensche riddergoed Razoten« (Des Erbprinzen Zufluchtsort. Der spätere König Wilhelm I. als Landherr auf dem Posener Rittergut Racot), in: BVGO/Bijdragen voor Vaderlandsche Geschiedenis en Oudheidkunde (Beiträge zur Vaterländischen Geschichte und Altertumsgeschichte) 7, II, S. 219–242
  • Jeroen Koch: Koning Willem I 1772–1843 (König Wilhelm I. 1772–1843), Amsterdam 2013
  • Marjan P. Nekkers-Kapitein: »Wilhelmina van Pruisen« (Wilhelmine von Preußen), in: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland (Digitales Frauenlexikon der Niederlande). URL: http://resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/WilhelminaPruisen
  • Bernhard Woelderink: Geschiedenis van de Thesaurie. Twee eeuwen Thesaurie en thesauriers van het Huis Oranje-Nassau 1775–1975 (Geschichte des Schatzamtes. Zwei Jahrhunderte Schatzamt und Schatzmeister des Hauses Oranien-Nassau 1775–1975), Hilversum 2010
Paleis Racot in Posen/Poznan (nu Polen)
Abbildung: Foto: 2016 Reinildis van Ditzhuyzen

Schloss Racot bei Posen (heute: Polen). Hier hielten sich Wilhelm und Mimi mehrfach während ihres Exils (1795–1813) auf.

Interieur paleis Paleis Racot
Abbildung: Foto: 2016 Reinildis van Ditzhuyzen

Innenansicht heute.

Interieur paleis Paleis Racot
Abbildung: Foto: 2016 Reinildis van Ditzhuyzen

Wandverzierungen im Stil der damaligen Mode. Von 1921 bis 1926 diente das Schloss als Residenz des polnischen Präsidenten.

De jonge prins Willem in 1788
Abbildung: J.F.A. Tischbein, Rijksmuseum: https://www.rijksmuseum.nl/nl/collectie/SK-A-414

Der junge Prinz Wilhelm 1788 (Johann Friedrich August Tischbein, Rijksmuseum).

Portret Wilhelmina van Pruisen
Abbildung: ©Stichting Historische Verzamelingen van het Huis Oranje-Nassau Den Haag / http://resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/WilhelminaPruisen

Wilhelmine konnte ganz ansehnlich malen (siehe Kapitel 23), was sie nicht zuletzt ihrem Lehrmeister zu verdanken hatte, dem deutschen Maler Johann Friedrich Bury (1763–1823). Um 1820 – da war sie bereits Königin der Niederlande – fertigte er dieses Porträt von ihr an (90 x 65 cm, Stiftung Historische Sammlungen des Hauses Oranien-Nassau, Den Haag).