Kapitel 20: Wilhelm V. Batavus Prinz von Oranien und Wilhelmine Prinzessin von Preußen

Der letzte Statthalter und die erste Königinmutter

Wie das in Fürstenkreisen so üblich ist, gingen auch die Prinzen von Oranien gern Ehen ein, mit denen sich ihr politischer und finanzieller Status und damit auch ihre dynastische Position verbessern oder festigen ließen. Und das gelang ihnen recht gut, obwohl Wilhelm V. (1748–1806) und seine Vorgänger bis 1795 nur Statthalter, also Diener der Generalstaaten, und keine souveränen Fürsten waren. Die Mutter Wilhelms V., Anne von Hannover, ist beispielsweise eine veritable englische Königstochter, und er selbst heiratet 1767 ebenfalls eine königliche Prinzessin: Wilhelmine von Hohenzollern (1751–1820). Ihr Taufpate ist niemand Geringeres als Friedrich II. (der Große), König von Preußen. Er sorgt dafür, dass diese Verbindung zustande kommt. Wilhelm V. schielt nämlich nach einer englischen Prinzessin – ein Ansinnen, das Friedrich nicht behagt. Zum Glück weiß er Amsterdam und die Regenten der großen holländischen Städte in dieser Sache an seiner Seite, sie wollen den unter Anne von Hannover gewachsenen englischen Einfluss wieder zurückdrängen. Auch lassen sich so die guten Bande zwischen der Republik und Preußen verstärken. Hierzu hatte der Taufpate aus Preußen bereits beigetragen, als er seine Besitzungen in den Niederlanden an Anne von Hannover verkaufte. Als Nachkomme Wilhelms des Schweigers hatte er nämlich 1732 mehrere Güter und Ländereien in der Republik geerbt. Darunter befindet sich auch Palais Noordeinde, das seitdem als Residenz seiner preußischen Botschafter genutzt wird. Durch den Verkauf an Prinzessin Anne 1754 gehen sie alle wieder in den Besitz der Oranier über.

Mein Herz ist dir immer ganz nah

Wilhelm und Wilhelmine lassen sich im Statthalterlichen Quartier am Haager Binnenhof nieder. Kurz darauf ist die 16-jährige Prinzessin bereits in gesegneten Umständen. Aber es kommt zu Komplikationen. Die Geburt verläuft, was damals nicht selten ist, dramatisch: das Kind steckt fest. Die Rettung bringt ein spezielles Instrument: mit einem Geburtslöffel wird das Köpfchen befreit, »unterstützt von den wirklich heldenhaften Anstrengungen der Prinzessin«, so der Leibarzt. Aber dann folgt eine bittere Erkenntnis: das Kind, ein Junge, ist bei der Geburt gestorben. König Friedrich, selbst kinderlos, ist tief betroffen und schreibt: »Möge der Himmel mir mein Adoptivkind lassen, das ich mehr liebe, als wäre ich der eigene Vater. Mein Herz ist dir immer ganz nah.« Glücklicherweise bringt Wilhelmine später noch eine Tochter und zwei Söhne zur Welt.

Es sind keine leichten Zeiten für die Oranier. Während Wilhelmine von Energie und Willenskraft strotzt, ist ihr Mann eher schlaff und zauderhaft. Im Land macht sich Enttäuschung breit. Immer mehr Bürger – sie nennen sich selbst »Patrioten« – wenden sich gegen das Statthaltertum. »Fürst Wilhelm, es ist alles Ihre Schuld«, so fasst der aus Geldern stammende Edelmann Joan Derk van den Capellen tot den Poll in seinem anonym verfassten Manifest »An das Volk der Niederlande« die Haltung der Patrioten zusammen. Man schimpft ihn einen »Verräter des Vaterlandes«. Immer häufiger kommt es zu Aufruhr und Krawallen. 1788 muss sogar Wilhelmines Bruder Friedrich Wilhelm II., der neue König von Preußen, den geschwächten Oraniern beispringen. Aber das Statthaltertum kann sich kaum noch halten: sieben Jahre später flüchten die Oranier aus der Republik. Wilhelm V. sollte sein Land nie wiedersehen. Er stirbt 1806 im Exil in Braunschweig. Aber Wilhelmine kehrt zurück, und das nicht als irgendwer, sondern als erste niederländische Königinmutter! Ihr Sohn wird 1815 als Wilhelm I. erster König der Niederlande.

Ihre Gedanken zu ihrer Zweckehe mit Wilhelm V. vertraute Wilhelmine in einem Brief ihrer Tochter an: »Die Ehe bringt gegenseitige Verpflichtungen mit sich. Genieße das Gute, erwarte keine Vollkommenheit, zügele dein Verlangen, und bedenke, dass das wahre Glück seinen Ursprung in uns selbst hat.«

Reinildis van Ditzhuyzen, Mai 2017

Literatur

  • Willem Frijhoff: Prins Henrik van Pruisen in de Republiek (Prinz Heinrich von Preußen in der Republik), in: De Achttiende Eeuw (2002), S. 77–125
  • Jeroen Koch: Koning Willem I 1772–1843 (König Wilhelm I. 1772–1843), Amsterdam 2013
  • W.A. Knoops, F.Ch. Meijer: Goejanverwellesluis. De aanhouding van de prinses van Oranje op 28 juni 1787 door het vrijkorps van Gouda (Goejanverwellesluis. Die Festsetzung der Prinzessin von Oranien am 28. Juni 1787 durch das Freikorps von Gouda), Amsterdam 1987
  • Edwin van Meerkerk: Willem V en Wilhelmina van Pruisen (Wilhelm V. und Wilhelmine von Preußen), Amsterdam 2009
  • Zita Pöthe: Perikles in Preußen. Die Politik Friedrich Wilhelms II. im Spiegel des Brandenburger Tores, Berlin (Diss.) 2014
  • G.J. Schutte: Wilhelmina van Pruisen 1751–1820 (Wilhelmine von Preußen 1751–1820), in: C.A. Tamse (Hrsg.): Vrouwen in het landsbestuur (Frauen in Staatsämtern, Den Haag 1982, S. 169–202
Friedrich der Große

Dass der mächtige, militante Herrscher Friedrich der Große auch eine empfindsame Seite hatte, zeigen seine mitfühlenden Briefe an seine Lieblingsnichte Wilhelmine, in denen er ihr nach ihrer ersten, dramatischen Entbindung Trost spendete.

Wilhelm und Wilhelmine

Wilhelm und Wilhelmine mit ihren drei Kindern; in der Mitte Erbfolger Wilhelm VI. (der spätere König Wilhelm I.), links Friedrich, rechts Luise.

Brandenburger Tor

1791 lässt Wilhelmines Bruder König Friedrich Wilhelm II. von Preußen das Brandenburger Tor als preußisch-niederländisches Friedenssymbol errichten. Auf dem Zug des Friedens unter der Quadriga sind der König und seine Schwester allegorisch als Herakles bzw. Friedensgöttin Eirene abgebildet.