Kapitel 18: (Anna Charlotte) Amelia Prinzessin von Nassau-Diez und Friedrich Erbprinz von Baden-Durlach
Eine vom Wahn befallene Prinzessin und ein jung verstorbener Erbprinz
Wie dramatisch das Leben dieses Prinzpaares verlaufen sollte, war nicht vorherzusehen. Friedrich (1703–1732), der Bräutigam, ist der zweitgeborene Sohn des Markgrafen Karl III. Wilhelm von Baden-Durlach und von Herzogin Magdalena von Württemberg. Eigentlich soll sein älterer Bruder später einmal Markgraf werden, doch er verstirbt kurz vor seinem elften Geburtstag, wodurch Friedrich zum neuen Erbprinzen wird. Zeitgenossen beschreiben ihn als »etwas unter Mittelmaß (… ohne) das Feuer und die Kraft seines Vaters«. Markgraf Karl Wilhelm ist tatsächlich ein zupackender und starker Herrscher. Jenseits der Staatsgeschäfte gehört seine Passion den Tulpen. Er reist mehrfach nach Haarlem, um Tulpenzwiebeln für seine Schlossgärten zu kaufen. In seinem Auftrag entstehen zwanzig prächtige Tulpenbücher, von denen erfreulicherweise einige erhalten geblieben sind.
Auf seinen Reisen in die Niederlande pflegt Karl Wilhelm Kontakte mit den Oraniern, und so gelingt es 1727, seinen Sohn Friedrich mit der sechzehnjährigen friesischen Prinzessin Amelia (1710–1777), Tochter des Statthalters Friso (Kapitel 15), zu vermählen. Nach der Hochzeit in Leeuwarden fährt das junge Paar auf dem Rhein bis nach Karlsruhe, wo es vom (Schwieger-)Vater begrüßt wird. Der Markgraf ist stolz auf die neue, von ihm gegründete und nach ihm benannte Residenz. Den traditionellen Herrschersitz in Durlach hat er zu diesem Zeitpunkt bereits gegen sein neues Schloss in dieser auf dem Reißbrett entworfenen Stadt eingetauscht.
In den Folgejahren tut Amelia, was von einer Prinzessin in einer dynastisch arrangierten Ehe erwartet wird: sie sorgt für Thronfolger. Innerhalb weniger Jahre bringt sie zwei Söhne zur Welt. Damit ist aber auch schon alles Erfreuliche gesagt. Denn schon bald machen Gerüchte über Amelias wundersames Verhalten die Runde. Ihre Mutter ist besorgt und warnt sie in einem Brief: »Über alles und gegen alle geratet Ihr in Wut, über mich ebenso wie über jeden, der sich Euch nähert; ohne jede Ordnung wollt Ihr leben, macht die Nacht zum Tage, steigert Eure Launen ins Grenzenlose«. Die Situation spitzt sich zu, und am 10. März 1732 schreibt der Erbprinz ziemlich verzweifelt Amelias Familie in Leeuwarden: »… bis zu welchen Excessen sie sich jeden Augenblick läßt, wie sie gegen uns Alle Beleidigungen schleudert, wie sie ihre Damen, ihren Almosenier und andere Diener schlägt und beleidigt – kurz, ich kann nicht alle stündlich vorfallenden Ausschreitungen schildern«. Gut zwei Wochen später, am 26. März 1732, ist das Drama komplett: Erbprinz Friedrich stirbt an Schwindsucht.
Daraufhin nimmt (Schwieger-)Mutter Magdalena, die schon seit vielen Jahren getrennt von ihrem Mann im alten Schloss in Durlach wohnt, das Heft in die Hand. Sie fungiert nicht nur als Regentin, wenn ihr Mann Karl Wilhelm nicht vor Ort ist, sondern sie holt auch Amelia mit ihren Kindern zu sich. Angesichts Amelias Überforderung werden die kleinen Prinzen von nun an unter ihrer Obhut erzogen. Amelia weiß nicht, wo sie ist und was sie tut, sie schreit, weint, flucht, murmelt oder starrt vor sich hin, sie schlägt und kneift. Die Ärzte tun, was in ihrer Macht steht, doch ohne Erfolg. Bis zu ihrem Tod 1777, also mehr als 45 Jahre lang, lebt sie in diesem Wahnzustand, betreut und versorgt von einer ganzen Höflingsschar.
Immerhin hat sie einen Thronfolger hinterlassen, Karl Friedrich (1728–1811). Er wird der erste Großherzog von Baden und regiert nicht weniger als 65 Jahre lang. Zum Gedenken an seine unglückselige Mutter schenkt er nach ihrem Tod der protestantischen Stadtkirche Karlsruhe, deren Bau einst von der calvinistischen Amelia in Auftrag gegeben worden war, zwei aus dem Jahr 1720 stammende friesische Abendmahlkelche aus Silber. Sie können bis heute dort bewundert werden.
Reinildis van Ditzhuyzen, März 2017
Literatur
- Karlsruher Tulpenbücher. Kolorierte Zeichnungen auf Papier und Pergament, Badische Landesbibliothek BLB Karlsruhe, http://digital.blb-karlsruhe.de/id/12076
- B. Bilker: Anna Charlotte Amelia 1710–1777, het ongelukkige leven van een Leeuwarder prinses (Anna Charlotte Amelia, 1710–1777, Das unglückliche Leben einer Prinzessin aus Leeuwarden), Leovardia 5 (2001), S. 9–12
- Borchardt-Wenzel, Annette: Karl Friedrich von Baden. Mensch und Legende, Gernsbach 2006
- Marijke Bruggeman: Nassau en de macht van Oranje. De strijd van de Friese Nassaus voor de erkenning van hun rechten, 1702–1747 (Nassau und die Macht der Oranier. Der Kampf der friesischen Nassauer für die Anerkennung ihrer Rechte, 1702–1747), Hilversum 2007
- Marijke Bruggeman: Amelia van Nassau-Dietz, in: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland (Digitales Frauenlexikon der Niederlande)
- J.M. Fritz: »Twee bekers van de Leeuwarder zilversmid Andele Andeles (1689–1754) in de Stadtkirche te Karlsruhe« (Zwei Kelche des Leeuwardener Silberschmieds Andele Andeles (1689–1754) in der Stadtkirche Karlsruhe), in: Antiek (1983/84), S. 76–78

Die friesische Prinzessin Amelia zwischen ihrer Mutter Marie Luise und ihrem Bruder Wilhelm IV

In Schloss Durlach wohnte die geistig umnachtete Amelia bis zu ihrem Tod. Heute sind hier unter anderem zwei Museen, Schulen und die Bibliothek untergebracht.

Ihr Sohn Karl Friedrich, der 65 Jahre lang regieren sollte.