Kapitel 15: Johann Wilhelm Friso, Prinz von Oranien und Marie Luise, Landgräfin von Hessen-Kassel
Streit um das Oranier-Erbe
Der Fortbestand der Oranierdynastie hing nicht nur einmal an einem seidenen Faden. Mehrmals fehlte ein »Reserveprinz«, lastete die Zukunft auf den Schultern eines einzelnen Oranierprinzen. So ist es auch bei Friso (1687–1711) : der kinderlos verstorbene Statthalter und englische König Wilhelm III. macht ihn zu seinem Universalerben und damit auch zum Träger des Titels Prinz von Oranien. Doch verschiedene entfernte Verwandte melden Ansprüche auf das begehrte Erbe mit zahlreichen Gütern und Besitzungen an. Und so werden seine Mutter und er selbst in nicht enden wollende Prozesse und Verhandlungen verstrickt.
Zugleich wütet der Spanische Erbfolgekrieg (1701–1713), und Friso stürzt sich, sobald er alt genug ist, in den Kampf gegen die Franzosen in den Südlichen Niederlanden. Währenddessen sucht seine Mutter Amalie mit allen Mitteln eine passende Braut für ihn, schließlich muss ein Stammhalter her. Und sie wird fündig: 1709 heiratet der 21-jährige Oranierprinz in Kassel die fast gleichaltrige Landgräfin Marie Luise (1688–1765). Sie stammt aus einer Familie mit fünfzehn Kindern, hat ein einnehmendes Wesen, ist wohlerzogen, bescheiden und natürlich protestantisch. 1710 kommt Tochter Amalie zur Welt, und alsbald ist Marie Luise erneut guter Hoffnung. Doch dann schlägt das Schicksal zu.
Es ist Juli 1711: die Erbstreitigkeiten scheinen gelöst, und Friso ist zu einer abschließenden Unterredung mit dem preußischen König nach Den Haag unterwegs. Am Hollands Diep besteigt er eine Fähre, die ihn mit Kutsche und kleinem Gefolge ans andere Ufer bringen soll. Doch plötzlich bricht ein Unwetter los. Es regnet wie aus Kübeln, der Wind peitscht das Wasser. Dann erfasst eine Böe die Segel, das Schiff kentert. Der Prinz von Oranien geht über Bord und wird von einer heftigen Welle mitgerissen. Acht Tage später wird sein Leichnam gefunden. Seine junge Witwe bringt sechs Wochen nach diesem Drama einen gesunden Sohn zur Welt: Wilhelm (IV.). Die Dynastie ist mit knapper Not gerettet.
Regentin Marie Luise wird »Maaike Muoi«
Marie Luise erweist sich als zupackend. Sie ist zwar jung, unerfahren und Ausländerin, aber sie – und nicht ihre Schwiegermutter Amalie – übernimmt das Amt der Regentin. Als erstes macht sie sich daran, die vielen Schulden Amaliens abzubauen. Ihr Vater steht ihr dabei mit Rat und Tat zur Seite. Marie Luise ordnet drastische Sparmaßnahmen an. Zugleich harrt der sich hinziehende Erbstreit einer Lösung. 1732 ist es endlich so weit – 30 Jahre nach dem Tod Wilhelms III. Die friesischen Nassauer setzen sich in vielen Punkten durch. Der Titel Prinz von Oranien aber geht sowohl an den jungen Stammhalter Wilhelm als auch an den König in Preußen.
Mittlerweile ist Marie Luise schon zwanzig Jahre Regentin. Sie wird das Amt später noch einmal bekleiden, und zwar für ihren Enkel Wilhelm V. In Friesland ist sie so beliebt, dass man sie »Maaike Muoi« (Tante Marijke) nennt. Als ihr Sohn Wilhelm IV. volljährig ist, bezieht sie den von ihr erworbenen und prachtvoll umgebauten Princessehof in Leeuwarden, wo sie sich intensiv ihrer bedeutenden Porzellan- und Keramiksammlung widmet. Nicht zuletzt hierin liegt der Ursprung der heutigen Nutzung des Princessehof als Keramikmuseum. Der von Marie Luise genutzte barocke Speisesaal mit Goldtapete, auffälliger Stuckdecke und Malereien ist erhalten geblieben. Bei einer Besichtigung kann man das Lebensgefühl dieser wohlgelittenen Regentin erahnen.
Reinildis van Ditzhuyzen, Dezember 2016
Literatur (siehe auch die früheren Kapitel):
- Marjo Barthels: Maria Louise van Hessen-Kassel, (Digitales Frauenlexikon der Niederlande) http://resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/HessenKassel
- Peter Baumgart: »König Friedrich I. von Preußen und die Oranische Erbschaft (1702–1732)«, in: Friedhelm Jürgensmeier, Simon Groenveld (Hrsg.): Nassau-Diez und die Niederlande, Wiesbaden 2012, S. 134–151
- Marijke Bruggeman: »Het hof van Maria Louise van Hessen-Kassel (1711–1731)« (Der Hof von Marie Luise von Hessen-Kassel, 1711–1731), in: W. Bergsma (Hrsg.): »Het hof van de Friese Nassaus (1584–1747)« (Der Hof der friesischen Nassauer, 1584–1747), It Beaken. Tydskrift fan de Fryske Akademy 60 (1998) Nr. 3/4, S. 293–304
- Ditzhuyzen
- Eduard Sebald: »Ein Brunnen als Memoria? Der Friso-Brunnen in Diez«, in: Friedhelm Jürgensmeier, Simon Groenveld (Hrsg.): Nassau-Diez und die Niederlande, Wiesbaden 2012, S. 187–191
- Sytse van der Veen: »Johann Wilhelm Friso und sein Groninger Favorit Johann Wilhelm von Ripperda«, in: Friedhelm Jürgensmeier, Simon Groenveld (Hrsg.): Nassau-Diez und die Niederlande, Wiesbaden 2012, S. 118–133

Prinz Friso im Harnisch mit Kommandostab in der rechten Hand, der Helm links hinter ihm auf dem Tisch. Genau wie seine Frau Marie Luise ist er in einen mit rotem Hermelin gefütterten Mantel gehüllt, um so seinen hohen Status zu unterstreichen.