Kapitel 14: Heinrich Casimir II., Reichsfürst von Nassau-Diez, und (Henriette) Amalie, Prinzessin von Anhalt-Dessau
Ein zu früh verstorbener Erbstatthalter und seine verschwenderische Gemahlin
Wer soll wen heiraten? Über diese Frage brütete man in den Fürstenfamilien vergangener Tage oft und viel. Denn bei einer Eheschließung stand nicht die Liebe im Vordergrund, sondern Geld und dynastische oder politische Interessen. Und der Wunsch nach einem (nach Möglichkeit männlichen) Erben, um so den Fortbestand der Dynastie zu sichern. So auch hier: Die beiden Oranierschwestern Albertine und Henriette Catharina (Kapitel 9 und 10) arrangieren die Hochzeit ihrer Kinder, Heinrich Casimir und Amalie – in der Hoffnung auf viele Nachkommen. Schließlich lebt 1683, als die beiden vermählt werden, nur noch ein einziger männlicher Oranier: Wilhelm III., ein Neffe der beiden Schwestern.
Erfreulicherweise sind der Ehe Glück und ein reicher Kindersegen beschieden. Innerhalb von elf Jahren bringt Amalie neun Kinder zur Welt: zwei Söhne (von denen einer noch im Säuglingsalter stirbt), und sieben Töchter. Ihr Mann Heinrich Casimir ist zwar nicht so fähig und beliebt wie Wilhelm III., aber er ist Erbstatthalter von Friesland und damit der erste Nassauer, der dieses aus dynastischen Erwägungen so wichtige Amt samt Titel erhält. Doch in den Jahren, die folgen, trüben dramatische Todesfälle das Glück. 1696 stirbt, viel zu jung, Heinrich Casimir an einer alten Kriegsverletzung, 1702 erliegt der Statthalter und englische König Wilhelm III. den Folgen eines Reitunfalls, und 1711 ertrinkt der einzige Amalie noch verbliebene Sohn Johann Wilhelm Friso. Dieser war vom kinderlos verstorbenen Wilhelm III. zum Oranien-Erben bestimmt worden. Doch so einfach ist die Sache nicht: auf das begehrte Erbe meldet unverzüglich eine Vielzahl von Prätendenten Ansprüche an. Die erbitterten Erbstreitigkeiten ziehen sich über 30 Jahre hin, ihren Ausgang sollte Amalie nicht mehr erleben (siehe die nächsten Kapitel).
Verschwenderisches und sorgloses Leben in Schloss Oranienstein
Amalie muss noch einen weiteren Rückschlag wegstecken: Nach dem Tod ihres Sohnes will Friesland nicht, dass sie die Regentschaft übernimmt – man findet sie zu dominant. Daraufhin zieht sie in das von ihrer Mutter Albertine erbaute Schloss Oranienstein in Diez im heutigen Rheinland-Pfalz. Dort führt sie mit ihren unverheirateten Töchtern ein extravagantes, verschwenderisches Leben, das sie sich eigentlich gar nicht leisten kann. Sparsamkeit scheint für die Fürstin ein Fremdwort zu sein. Sie kauft untentwegt neue Kleider, Hermelinmäntel, Schuhe, Pantoffeln – selbstverständlich nur aus den feinsten und kostbarsten Materialien. Ihre innig geliebten Schoßhündchen verwöhnt sie, wo es nur geht: sie ruhen auf weichen Kissen und begleiten sie auf ihren Reisen in hübschen Körbchen. Und gutes Essen verschmäht sie auch nicht. Aus Amsterdam lässt sie Austern und Bücklinge kommen, aus Koblenz frische Kirschen und Birnen, aus Frankfurt Äpfel, Feigen und Melonen. Es versteht sich, dass auf Oranienstein auch moderne Köstlichkeiten wie Kaffee, Tee und Schokolade serviert werden. Außerdem ergötzen sich Mutter und Töchter an Schnupftabak und Likören.
Aber Amalie ist beliebt in Diez, denn das Wohl der Stadt liegt ihr am Herzen. So gibt sie Geld für die Armen, unterstützt Künstler und fördert den Wiederaufbau von Kirchen. Zeitgenossen scheinen denn auch eine hohe Meinung von der verwitweten Fürstin zu haben, die als einnehmend, kultiviert und offen beschrieben wird. Dreißig Jahre nach ihrem Mann stirbt Amalie, sechzig Jahre alt, im Kreise ihrer Töchter zu Hause in Oranienstein.
Reinildis van Ditzhuyzen, November 2016
Literatur
- Marijke Bruggeman: Henriette Amalia van Anhalt-Dessau, (Digitales Frauenlexikon der Niederlande)
http://resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/HenrietteAmalia - Ditzhuyzen
- Dynastie. Portretten van Oranje-Nassau – Dynasty, portraits of the House of Orange-Nassau (Amsterdam 2016)
- Klaus Eiler: »Fürstin Henriette Amalie von Nassau-Dietz und ihre Töchter«, in: Friedhelm Jürgensmeier, Simon Groenveld (Hrsg.): Nassau-Diez und die Niederlande, Wiesbaden 2012, S. 171–186
- Peter Karstkarel, Hugo Kingmans: Oranje Nassau & Friesland (Oranien-Nassau und Friesland), Leeuwarden 1994
- Yme Kuiper: »Zwischen Republik und Fürstentum. Amtscharisma und militärisches Selbstbild Heinrich Casimirs II.«, in: Friedhelm Jürgensmeier, Simon Groenveld (Hrsg.): Nassau-Diez und die Niederlande, Wiesbaden 2012, S. 99–117
- Hélène de Muij-Fleurke und Bernard Woelderink: »Die Hochzeit von Heinrich Casimir II. und Henriette Amalia im Jahre 1683 in Dessau und ihr festlicher Empfang in Friesland im Jahre 1684«, in: Oranienbaum. Huis van Oranje (2003), S. 113–118
- Rouven Pons: »Territoriale Machtpolitik und dynastische Verwerfung. Streit um die Vormundschaft ab 1711«, in: Friedhelm Jürgensmeier, Simon Groenveld (Hrsg.): Nassau-Diez und die Niederlande, Wiesbaden 2012, S. 152–170

Heinrich Casimir II. und Amalie mit ihren ältesten vier Kindern. Heinrich Casimir, dargestellt als bedeutender Feldherr im Harnisch, zeigt auf seinen Sohn und Nachfolger Friso (Constantijn Netscher zugeschrieben, um 1690, 106 x 81 cm, Schloss Het Loo).

Schloss Oranienstein in Diez, wo Amalie bis zu ihrem Tod mit ihren Töchtern wohnte.

Diesen Prunktisch entwarf der bekannte Architekt Daniel Marot im Auftrag von Fürstin Amalie. Die von vier Figuren getragene Tischplatte ist reich ornamentiert; in ihrer Mitte befindet sich das Monogramm AvA, das für Amalie von Anhalt steht (Mauritshuis, Den Haag).