Kapitel 1: Die Oranier: eine »deutsche« Familie?
Dem niederländischen Königshaus wird in Deutschland ein auffallend großes Interesse entgegengebracht. Regelmäßig wird in deutschen Medien ausführlich über Aktivitäten, Besuche und Äußerungen von Mitgliedern der königlichen Familie sowie über Ereignisse wie Hochzeiten und Todesfälle oder den Thronwechsel berichtet.
Durch Deutschland führt sogar eine spezielle Oranierroute, die einzige ihrer Art: eine 2100 km lange Ferienstraße entlang den Spuren der niederländischen Dynastie. Übrigens beruht das Interesse auf Gegenseitigkeit. So galt der allererste offizielle Besuch, den König Willem-Alexander nach seiner Amtseinführung absolvierte, Deutschland. Überhaupt widmet er dem Nachbarland viel Aufmerksamkeit. Er spricht – ebenso wie seine Mutter, Königin Beatrix – fließend Deutsch; selbst seine argentinische Frau versteht es bereits recht gut.

Woher rührt diese einzigartige Verbundenheit?
Zunächst einmal ist festzuhalten, dass die Wurzeln des Königshauses in Deutschland liegen. Der vielbewunderte Freiheitskämpfer Wilhelm von Oranien, der »Vater des Vaterlandes«, wurde 1533 als Graf von Nassau im hessischen Dillenburg geboren. Sein Verhältnis zu Deutschland blieb stets eng, insbesondere in familiärer Hinsicht. Von den insgesamt 43 Ehen der Mitglieder des Hauses Oranien-Nassau wurden nicht weniger als 30 mit Angehörigen des deutschen Adels geschlossen (siehe die vorstehende Übersicht). Die niederländische Königsfamilie ist somit in gewisser Weise auch eine »deutsche« Familie.
Bemerkenswert ist aber nicht nur dieser hohe Anteil als solcher, sondern auch die große wechselseitige politische, kulturelle und gesellschaftliche Beeinflussung, die daraus im Laufe der Jahrhunderte erwuchs und die bis heute fortdauert. Von diesem grenzüberschreitenden Austausch und weiteren Auswirkungen der 30 oranisch-deutschen Eheverbindungen wird in den Beiträgen dieser Serie berichtet, wobei jeweils mindestens ein Mitglied der Oranierfamilie näher vorgestellt wird. Zunächst wird es um die deutschen Bande von Prinz Wilhelm I. von Oranien gehen. Zuvor jedoch wollen wir uns dessen Mutter, Gräfin Juliana zu Stolberg, zuwenden, der Stammmutter der Oranier.
Die Stammmutter der Oranier aus dem Harz Gräfin Juliana zu Stolberg, 1506–1580
Bis zum Tode der niederländischen Königin Juliana hing ein großes Porträt von Gräfin Juliana zu Stolberg in ihrem Arbeitszimmer. Die Königin fühlte sich der Mutter des ruhmreichen Prinzen Wilhelm I. von Oranien (1533–1584), der Stammmutter des Hauses Oranien-Nassau, verbunden. Julianas Mutter Wilhelmina hatte ihre Tochter bewusst nach ihrer Urahnin benannt, da sie sie für ein »Beispiel großer Weisheit und innerer Stärke« hielt.
Stolberg
Im schönen Städtchen Stolberg in Sachsen-Anhalt ist man stolz darauf, dass Gräfin Juliana hier geboren wurde. In einer Broschüre über die Stadt heißt es: »Ohne die wackere Stolbergerin hätte es keine Befreiung der Niederlande und nie einen Goetheschen ›Egmont‹ geben können.« Tatsächlich gewährte die Gräfin ihrem ältesten Sohn Wilhelm im Dillenburger Schloss, dem Stammschloss des Hauses Nassau, Quartier, als dieser 1567 mit einem Gefolge von nicht weniger als 170 Personen bei ihr darum ersuchte. Der Prinz von Oranien war wegen der aufflammenden Erhebung gegen Spanien Hals über Kopf aus den Niederlanden geflohen. In diesem Krieg sollten vier Söhne Julianas den Tod finden: Adolf in der Schlacht von Heiligerlee 1568, Ludwig und Heinrich in der Schlacht auf der Mooker Heide 1574 und schließlich Wilhelm, dessen Ermordung 1584 sie nicht mehr miterleben musste.
Juliana war zweimal verheiratet und bekam insgesamt siebzehn Kinder, was in der damaligen Zeit nicht ungewöhnlich war. Ungewöhnlich war allerdings, dass sie bei ihrem Tod im Jahr 1580 sage und schreibe 160 Enkel und Urenkel hinterließ! Nicht nur die Oranier, sondern nahezu alle europäischen Fürstenhäuser stammen von ihr ab.
Der Name Stolberg kam Jahrhunderte später wieder ins Spiel, als ein geeigneter Bräutigam für die Namensschwester der Fürstin, die spätere Königin Juliana, gesucht wurde: Wäre es nicht schön, wenn sich die Geschichte mit einer neuen Verbindung zwischen den Häusern Oranien und Stolberg wiederholen würde? Und so reisten Prinzessin Juliana und ihre Mutter 1932 in den Harz, um drei mögliche Heiratskandidaten zu treffen. Leider war dem Vorhaben kein Erfolg beschieden. Einige Jahre später vermählte sich die Prinzessin mit Prinz Bernhard zur Lippe-Biesterfeld.
Der Vorname Juliana blieb in der Familie Stolberg populär. Die jüngsten Nachkommen sind Prinzessin Juliana zu Stolberg-Stolberg, geboren 2006, und Gräfin Juliana zu Stolberg-Wernigerode, geboren 2002.
Reinildis van Ditzhuyzen, Oktober 2015

Das Städtchen Stolberg im Harz hat sich seit der Geburt von Gräfin Juliana kaum verändert.
Literatur
- http://www.germany.travel/de/freizeit-erholung/ferienstrassen/die-oranierroute.html
- Reinildis van Ditzhuyzen/Nicole Uniquole: Oranje-Nassau. Het biografisch woordenboek (Oranien-Nassau. Das biographische Wörterbuch), Den Haag 2015
- Ditzhuyzen, »Deine getreuwe Muter allezeit.« Juliana van Stolberg 1506–1580, Münster 2006 (deutsch/niederländisch)
- »Juliana van Stolberg«, in: Digitaal Vrouwenlexicon van Nederland (Digitales Frauenlexikon der Niederlande), 2014, http://resources.huygens.knaw.nl/vrouwenlexicon/lemmata/data/stolberg
- Stolberg 1210–2010. Zur achthundertjährigen Geschichte des Geschlechts, Dößel (Saalekreis) 2010